Als Gabriel Voicu den Taktstock hebt, wird es auf einen Schlag mucksmäuschenstill im Saal. 30 Musiker, die gerade noch munter geplaudert und ihre Instrumente gestimmt haben, blicken hochkonzentriert auf den Dirigenten und warten auf den Einsatz. Voicu schaut nach links, wo Konzertmeister Andreas Firnhaber seinen Platz hat. Der setzt die Geige an und signalisiert: Wir sind so weit, es kann losgehen. Wenige Sekunden später erklingen die ersten Takte der „Cavalleria rusticana“.

Die dramatische Oper von Pietro Mascagni (1863-1945) ist durchaus anspruchsvoll und verlangt dem kleinen Symphonieorchester einiges ab. An diesem Abend sind fast alle Mitglieder zur Probe erschienen, was keine Selbstverständlichkeit ist, denn die Streicher, die Bläser und ihre Kollegen sind keine Profis in Sachen Musik, sondern klassische Amateure.

Der Konzertmeister ist ein Diplom-Ingenieur

Die meisten von ihnen arbeiten hier in Hamburg-Finkenwerder beim Flugzeugbauer Airbus, der an diesem Standort über 17.000 Fachkräfte beschäftigt.

Andreas Firnhaber ist einer von ihnen. Der 53-jährige Diplom-Ingenieur ist Business Manager in der Airbus Operations GmbH und gleichzeitig Spartenleiter für die Symphonieorchester-Aktivitäten in der Airbus SG Hamburg.

Musizieren in der Sportgemeinschaft

„Das Kürzel SG steht für Sportgemeinschaft“, erklärt Firnhaber. „Wir sind mit unserem Symphonieorchester ein Teil dieser Gemeinschaft, die mittlerweile rund 1.500 aktive Mitglieder und über 25 verschiedene Sparten hat.“

Tatsächlich ist die SG Airbus Hamburg eine der größten und ältesten Sportgemeinschaften in Norddeutschland. Hier gibt es fast alles – von A wie Angeln und Amateurfunk bis W wie Wandern. Die Sportgemeinschaft ist ein eingetragener Verein und entstand aus der Daimler-Benz Aerospace Airbus Sportgemeinschaft Hamburg, die Mitte 1960 gegründet wurde.

Alles begann mit einem Treffen in Spanien

Auch Musik ist hier schon seit einiger Zeit vertreten, und zwar mit dem Orchester Airbus Hamburg, das seit 1998 eine Sparte der SG ist. Es handelt sich nach eigenen Angaben um ein modernes Unterhaltungsorchester mit einem breiten Repertoire, das von traditioneller Blasmusik über Swing, Seemannslieder sowie Film-, Schlager- und Musical-Hits bis hin zu Stücken aus klassischen Werken und lateinamerikanischen Rhythmen reicht.

Das Symphonieorchester wiederum kam im Herbst 2017 zur SG. Andreas Firnhaber, der an der Gründung beteiligt war, erinnert sich: „Es gab damals einen Aufruf von der SG-Leitung, die Musiker für eine Veranstaltung in Spanien suchte. Dort sollte ein Betriebs-Sportfest stattfinden, und dafür wollte man eine Musikgruppe zusammenzustellen mit Mitgliedern aus unterschiedlichen Standorten.“

Der Dirigent ist ein echter Musik-Profi

In Hamburg fanden sich fünf oder sechs Kollegen, die gemeinsam nach Peñíscola fuhren. Firnhaber: „Und als wir dort angekommen waren und zusammen musizierten, waren wir uns einig, dass es doch großartig wäre, wenn Airbus ein eigenes Symphonieorchester bekäme. Und als wir diese Idee vortrugen, stellte sich heraus, dass unser heutiger Dirigent Gabriel Voicu bereits Ähnliches gedacht und Gespräche mit der SG aufgenommen hatte. Durch diesen glücklichen Zufall kam es zu der Gründung.“

Gabriel Voicu ist in der Musikbranche kein Unbekannter. Er wurde in Rumänien geboren und kam 1981 mit seiner Familie nach Deutschland, wo er Violine studierte und eine Dirigentenausbildung absolvierte. Er arbeitete mit Musikern wie Igor Oistrach und Yehudi Menuhin, initiierte das Musikfestival Schloss Ellwangen und war stellvertretender Orchesterdirektor des Philharmonischen Orchesters Hamburg.

Ein Orchester braucht eine gute Führung

Und nun leitet er – neben anderen Aktivitäten – das Symphonieorchester der Airbus-Mitarbeiter, die seine Arbeit in den höchsten Tönen loben. „Wir hatten das Glück, einen tollen Leiter zu finden, der den Laden mit einer wahnsinnigen Geduld zusammenhält“, erzählt Andreas Firnhaber in der Pause. „Und es steht und fällt halt alles mit dem Dirigenten.“

Sein Kollege Nils Lammert, der ebenfalls als Geiger mitwirkt, nickt: „Ein Orchester ist enorm abhängig davon, dass es gut geführt wird. Genau das tut Gabriel, und er bringt so viel mit, weil er selbst Profimusiker ist. Er spielt Geige seit frühester Kindheit, hat in Orchestern mitgewirkt und war als Solokünstler unterwegs. Und obendrein ist er Musiklehrer, wovon wir alle profitieren.“

Die Kollegen waren schwer beeindruckt

Wie gut die Zusammenarbeit funktioniert, zeigte sich 2023, als das Symphonieorchester im Herbst gebeten wurde, beim Weihnachtskonzert von Airbus im Hamburger Michel zu musizieren. Nils Lammert: „Bis dahin hatten wir immer nur bei Kantinenkonzerten und im kleineren Rahmen gespielt, aber natürlich träumt jeder Musiker vom großen Auftritt. Und nachdem unsere Azubi-Band bei einer Firmenfeier auftreten durfte, haben wir gesagt: Wir sind so weit, jetzt wollen wir auch.“

Trotzdem waren alle überrascht, als die Zusage kam. Gabriel Voicu: „Wir konnten es anfangs kaum glauben, aber dann haben wir in aller Eile ein passendes Programm zusammengestellt und bei den Proben richtig Gas gegeben.“ Die Arbeit hat sich ausgezahlt, das Konzert war ein voller Erfolg, und alle Gäste waren schwer beeindruckt von der Darbietung der musizierenden Kollegen auf der Empore.

Auch Newcomer sind willkommen

Dort saß auch Andrea Stahl, die 2014 über ein duales Studium zu Airbus gekommen war. „Auslöser für meine damalige Entscheidung war die Teilnahme an einem Girls’ Day“, erzählt die 28-Jährige. „Im Anschluss daran habe ich noch ein Praktikum gemacht, das speziell für Interessenten am dualen Studium angeboten wurde, und danach war mir klar: Hier möchte ich später arbeiten.“

In ihrem Job kümmert sie sich um Themen wie Arbeitssicherheit, Prozess- und Strategie-Entwicklung, im Symphonieorchester spielt sie Cello. „Meine Kollegen haben mich wirklich nett aufgenommen“, erzählt die Wahl-Hamburgerin, „obwohl ich erst 2017 mit dem Cello angefangen habe. Wenig später durfte ich bereits an Konzerten teilnehmen, und es war überhaupt nicht schlimm, dass ich die eine oder andere Stelle nicht perfekt beherrscht habe. Wir haben hier wirklich eine sehr angenehme und motivierende Atmosphäre.“

Jeden Mittwoch wird nach Feierabend geprobt

Unterdessen ist die Probenpause beendet und Dirigent Voicu nimmt seine Arbeit mit viel Humor wieder auf. Nun steht das Intermezzo aus Mascagnis „Cavalleria rusticana“ auf dem Programm – ein Stück, das Filmfans sofort bekannt vorkommt, weil es mehrfach in Francis Ford Coppolas drittem Teil des Meisterwerks „Der Pate“ zu hören ist.

Das Orchester sitzt im Auditorium des Zentrums für angewandte Luftfahrtforschung (ZAL), das unweit des Airbus Technologie Parks gebaut wurde. Für Geiger Nils Lammert ein echter Standortvorteil, denn er arbeitet hier und hat daher einen kurzen Weg zu den Proben, die jeden Mittwochabend stattfinden.

„Uns alle verbindet die Liebe zur Musik“

Er zählt zu den Menschen, die als Kind ein Instrument erlernten und später einige Zeit pausierten, weil andere Dinge Vorrang hatten. „Bei mir lag es am Studium“, erzählt der Airbus-Mitarbeiter. „Ich hatte einfach zu wenig Zeit und setzte zwölf Jahre lang aus.“ Als dann das Orchester entstand und weitere Streicher gesucht wurden, holte er die Geige wieder raus und stieg ein.

„Uns alle verbindet die Liebe zur Musik“, sagt er. „Und wir freuen uns über jeden, der mitmachen will. Unsere Mailadresse ist symphonieorchester@airbus-sg-hamburg.de. Auch Externe aus anderen Unternehmen und aus anderen Branchen sind weiterhin herzlich willkommen.“

Weitere Infos zum Symphonieorchester, Kontaktdaten und Termine gibt es unter: airbus-sg-hamburg.de.