Als der Elektromaschinenbauer Heinrich Schümann Mitte 1920 mit seinem Geschäftspartner Georg Carl Wentorf die „Wentorf & Schümann Elektro-Motoren-Werkstätten“ eröffnete, hatte er kaum mehr als einen Schraubenzieher und eine Zange. Heute, 100 Jahre später, ist aus dem kleinen Reparaturbetrieb für elektrische Maschinen und Transformatoren ein anerkannter Hidden Champion geworden, der seit der Gründung über 6.000 Maschinen gebaut und in rund 100 Länder geliefert hat.
Diese Maschinen, die elektrische Spulen wickeln, formen, isolieren und pressen, gehören zur Grundausstattung im Elektromaschinen- und Transformatorenbau. Die Modelle, die der Lübecker Mittelständler mit knapp 50 Mitarbeitern entwickelt und produziert, sind weltweit im Einsatz, und das trotz der harten Konkurrenz durch multinationale Konzerne, die dank Massenfertigung und Großeinkauf meist viel günstiger fertigen können. Wie ist das möglich?
Größe ist nicht alles
Geschäftsführer Holger Schmitz hat dafür eine schlüssige Erklärung. „Größe ist nicht alles“, sagt er. „Unser Hauptkonkurrent etwa ist durch Zukäufe stark gewachsen und hat viel mehr Mitarbeiter. Aber wir sind die Gallier – Sie wissen schon, wie bei Asterix. Wir sind die kleine Truppe, die sich nicht unterkriegen lässt. Weil wir eben nicht groß und schwerfällig sind, sondern smart und flexibel.“
Mit dieser Strategie ist das familiengeführte Unternehmen bislang gut gefahren. Und selbst die Corona-Effekte sind laut Schmitz wohl verkraftbar – dank neuer Innovationen aus dem eigenen Haus. Allerdings beobachtet der Geschäftsführer seit einiger Zeit eine gewisse Investitionszurückhaltung bei Kunden im In- und Ausland.
Auch Kunden in Indien
Das hat vor allem mit der Energiewende zu tun, die in einigen Ländern auf Hochtouren läuft, in anderen eher holperig und ohne klare Linie. Schmitz zeigt auf eine Maschine, die gerade von einigen Technikern getestet wird. „Die geht demnächst nach Indien“, sagt er nicht ohne Stolz.
Das Land ist heute schon der viertgrößte Windmarkt der Welt und bereitet momentan den Einstieg in den Offshore-Bereich vor. Ein hochinteressanter Markt also für europäische Turbinenhersteller und ihre Zulieferer.
Prototypen und ganze Fertigungsstraßen
„Wir orientieren uns eng an den Bedürfnissen der weltweiten Kundschaft“, so Schmitz. „Unsere Stärke ist unser breites Spektrum – vom Bau einzelner Sondermaschinen bis hin zu automatisierten Fertigungsstraßen.“
Außerdem baut Schümann Prototypen für Formspulen aller Art. Ein weiteres Standbein ist die Wartung und Reparatur von Motoren, Transformatoren und Generatoren. Mit diesem Leistungsumfang haben sich die Lübecker eine Sonderposition am Markt erarbeitet, die ziemlich einzigartig ist.
Intelligente Automatisierung
Holger Schmitz: „Neben uns gibt es global nur ein weiteres Unternehmen, das in der Lage ist, vergleichbare Komplettlinien im Elektromaschinenbau umzusetzen – aber nur bei uns läuft das alles auch noch inhouse!“
Die Stärke der Firma Heinrich Schümann ist, dass sie klein und flexibel ist
Damit das auch in Zukunft so bleibt, setzt der Sondermaschinenbauer konsequent auf intelligente Automatisierung. Und das bereits seit den 90er Jahren, als moderne Computertechnik bei Schümann eingeführt wurde. Bereits 2002 lieferte das Unternehmen die ersten Teilfertigungslinien – also automatisierte und verkettete Maschinen – in Deutschland aus.
Schon früh auf Roboter gesetzt
Zwei Jahre später folgte die Markteinführung eines sechsachsigen Roboters zur automatischen Isolierung von Formspulen. „Mit dieser Strategie waren wir technologisch ganz weit vorn“, sagt Holger Schmitz. „Heute folgt auch der weltweite Markt.“
Auch andere Dinge haben sich in den vergangenen Jahrzehnten im Spulenbau geändert, wie man bei einem Rundgang durch die Hallen von Heinrich Schümann sieht. Die einfachen Drahtspulen mit einer – wie die Experten sagen – „wilden Wicklung“, die man aus dem Elektrobaukasten für Schulkinder kennt, sind hier kaum noch zu finden. Stattdessen sieht man teilweise kurios geformte Gebilde mit exakt gewickelten Leitern, die mitunter dicker als ein Gartenschlauch sind.
Verständnis für die Bedürfnisse der Kundschaft
Ein solches Paket liegt gerade zur Überprüfung auf dem Tisch von Kevin Rachor. Der promovierte Physiker ist seit Mitte 2018 als „Director Product & Innovation“ bei Heinrich Schümann tätig und kennt die Bedürfnisse der Kundschaft aus eigener Erfahrung, da er zuvor für den Windenergie-Konzern Senvion tätig war.
Die längliche Flachdrahtspule, die er nun mit seinem Kollegen Michael Klinnert begutachtet, wurde erst wenige Minuten vorher gewickelt. Dank ihres goldenen Farbtons wirkt das Bündel edel und auf den ersten Blick fast filigran, aber der Eindruck täuscht. „Schätzen Sie mal, was die Spule wiegt“, sagt Rachor. Aber schätzen ist immer schwer, also machen wir die Probe aufs Exempel und versuchen, das Bündel anzuheben.
Spulen mit einem Gewicht von 150 Kilo
Zwecklos, das Teil liegt wie festgeschweißt auf der Unterlage. Rachor lacht: „Da haben Sie keine Chance, das sind 150 Kilogramm. Und genau darum geht es bei der Produktion von Spulen: Die Leiter sollen so kompakt wie möglich aufeinanderliegen, damit man eine optimale Leistungsdichte hat.“
Die Anlage, auf der die Spule gewickelt wurde, ist für einen Kunden in Vietnam bestimmt und soll demnächst verschickt werden. „Rund 80 Prozent unserer Produkte gehen in den Export“, sagt Geschäftsführer Schmitz. „Das hat nicht nur Vorteile, denn wir registrieren seit einiger Zeit in vielen Regionen einen wachsenden Trend zum Protektionismus.“
Gewinnbeteiligung für die Beschäftigten
Und natürlich spürt ein Mittelständler wie Heinrich Schümann ebenfalls den allgemeinen Fachkräftemangel, zumal es in Lübeck einige Unternehmen gibt, die noch bekannter sind.
Holger Schmitz: „Um unsere Chancen am Markt maximal zu nutzen, brauchen wir begeisterte und kompetente Mitarbeiter – sie genießen bei uns, wie schon bei unserem Firmengründer, oberste Priorität.“ Das ist historisch belegt, denn Heinrich Schümann kümmerte sich sehr um seine Belegschaft und gründete bereits in den 40er Jahren die erste Unterstützungskasse für die Mitarbeiter.
Ganz im Geist des 1968 verstorbenen Gründers arbeitet das Unternehmen bis heute daran, zukunftsfähige und attraktive Arbeitsplätze zu schaffen. Das reicht von der jährlichen Erfolgsbeteiligung für alle Mitarbeiter, die es bereits seit 2007 gibt, bis zu E-Tankstellen für die Beschäftigten, die mit einem Elektrofahrzeug zur Arbeit kommen.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv im Norden leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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