Selbst die alten Hasen von German Dry Docks (GDD) standen ehrfürchtig am Kai der Bremerhavener Werft, als es nach fast drei Jahren Vorbereitung endlich losging: Ganz langsam hob der Schwimmkran „Athlet III“ einen riesigen Tank an und setzte ihn behutsam auf dem Deck der „Wes Amelie“ ab. Der Behälter, der 500.000 Liter Gas fasst, ist das Herzstück eines Projekts, das in der Branche mit großer Spannung verfolgt wird. Verständlich, denn es ist eine Weltpremiere: Erstmals wurde ein Containerschiff auf LNG-Antrieb umgerüstet.
LNG, das steht für „Liquefied Natural Gas“, also verflüssigtes Erdgas. Dieser Treibstoff besteht überwiegend aus Methan und verursacht daher keine nennenswerten Schwefeloxid-Emissionen.
Deutlich reduzierter Ausstoß an Stickoxiden und Feinstaub
Auch die anderen Abgaswerte von LNG-Motoren sind beachtlich: Im Vergleich zu klassischen Schiffsantrieben sinkt der Stick-oxid-Ausstoß um bis zu 90 Prozent; und bei den Partikel-Emissionen, die eine wichtige Rolle bei der Feinstaubbildung spielen, ist sogar eine Reduzierung um rund 98 Prozent möglich.
Der 153 Meter lange Containerfrachter „Wes Amelie“ gehört der Reederei Wessels, die ihren Sitz in Haren an der Ems hat. Der Familienbetrieb wurde 1912 gegründet und zählt mit rund 40 Schiffen zu den größten Reedereien der deutschen Küstenschifffahrt.
Die sechs Jahre alte „Wes Amelie“ wurde nicht ohne Grund für das Projekt gewählt. Geschäftsführer Gerd Wessels: „Uns war wichtig, dass es nicht bei einer einmaligen Aktion bleibt, daher haben wir uns für dieses Schiff entschieden. Es hat insgesamt 23 Schwesterschiffe, von denen 16 absolut baugleich sind. Die ‚Wes Amelie‘ wird also voraussichtlich nicht das letzte Schiff unserer Flotte sein, das auf LNG umgerüstet wird.“
Millionen-Zuschuss vom Verkehrsministerium
Die Antriebsanlage des Schiffs wurde auf „Dual Fuel“-Betrieb umgestellt. Die „Wes Amelie“ kann also künftig sowohl mit flüssigen und als auch mit gasförmigen Kraftstoffen fahren.
Eine solche Umrüstung ist sehr aufwendig. Sie erfordert nicht nur erhebliche Modifikationen am Motor selbst, sondern auch diverse schiffbauliche Veränderungen am übrigen Schiff.
„Das Projekt gliederte sich in vier große Bereiche“, erklärt Projektmanager Carl-Jascha Ewert, der den ambitionierten Umbau gemeinsam mit seinem Kollegen Thorsten Pohle und Lasse Tebelmann leitete: „Ein Bereich waren der Bau und die Installation des Tanks, ein zweiter das Gasregel- und Leitungssystem zwischen Tank und Motor. Der dritte Bereich war der Umbau des Motors und der vierte die gesamte Sensorik und Elektrotechnik zur Steuerung der Maschine.“
Von zentraler Bedeutung war die Frage: Wie lässt sich der Tank so einbauen, dass der Verlust an Container-Stellplätzen möglichst gering ausfällt?
Wessels-Prokurist Christian Hoepfner deutet auf ein hellgrün lackiertes Gehäuse auf dem Deck: „Das war die Lösung. Wir haben den Tank auf dem Vorschiff platziert und so eingehaust, dass man noch einige Container oben aufsetzen kann. Dadurch gehen nur 25 Stellplätze verloren.“
Auch bei der Finanzierung des Projekts musste sich die Reederei etwas einfallen lassen, denn schon im Vorfeld war klar, dass die Umrüstung zwischen 6 und 8 Millionen Euro kosten würde. Hoepfner: „Die Banken haben zunächst sehr zurückhaltend auf unsere Anfragen reagiert. Klar, für die war das Thema LNG genauso Neuland wie für uns.“
Dass es trotzdem klappte, ist auch dem Bundesverkehrsministerium in Berlin zu verdanken. Dieses hatte nach Gesprächen mit der Reederei einen Zuschuss in siebenstelliger Höhe zugesagt. Dieser deckt etwa 60 Prozent der gesamten Kosten.
Warum ein Umbau dieser Art so aufwendig ist, wird bei einem Gang über das Schiff verständlich. Dort, wo an der Gasleitung zwischen Tank und Maschinenraum Armaturen sitzen, sind selbst an diesem warmen Herbsttag vereiste Stellen zu sehen.
Projektmanager Ewert: „Flüssiges Erdgas hat eine Temperatur von minus 162 Grad Celsius. Bei solchen Verhältnissen wird selbst hochwertiger Stahl spröde, daher muss man verhindern, dass sich die Kälte auf die angrenzenden Strukturen des Schiffs überträgt. Das ist schon eine technische Herausforderung.“
Umbau abgeschlossen, alle Ziele erreicht
Erschwerend kommt dazu, dass ein fertiges Schiff wie die „Wes Amelie“ wenig Platz für die erforderlichen Komponenten bietet. „Wenn man ein Schiff neu baut, kann man es um die Gasanlage herum planen“, so Ewert. „Diesen Spielraum hatten wir nicht.“
Die ersten positiven Effekte des Pilotprojekts haben sich bereits eingestellt. Nachdem die Umrüstung und die Probefahrten erfolgreich abgeschlossen wurden, hat das Bundesverkehrsministerium jetzt 30 Millionen Euro Fördermittel für weitere LNG-Projekte bereitgestellt.
„Deutschland ist eine der weltweit größten Schifffahrtsnationen“, so der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann. „Wir wollen diese Spitzenposition halten und unterstützen deshalb die Einführung innovativer Technologien. Ziel ist: mehr Mobilität bei weniger Emissionen.“
Begleitend zum Ausbau der Aus- und Umrüstung von Schiffen und der dafür nötigen Infrastruktur modernisiert das Ministerium auch die bundeseigene Flotte mit alternativen Antrieben. Auftakt dafür ist der Bau des neuen Forschungsschiffs „Atair II“ für das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH).
Das Schiff wird derzeit auf der Fassmer-Werft in Berne gebaut und soll 2020 in Dienst gestellt werden.
Technisch gesehen ...
Wie rüstet man einen Motor eigentlich um?
Ein wichtiger Projektpartner bei der Umrüstung der „Wes Amelie“ auf den Betrieb mit flüssigen und gasförmigen Kraftstoffen war der Motorenhersteller MAN Diesel & Turbo. Dieser hatte 2011 die 9.000-Kilowatt-Maschine geliefert, mit der das Containerschiff seinerzeit auf der Werft ausgestattet worden war.
Mithilfe der MAN-Spezialisten wurden an dem Achtzylinder-Aggregat zahlreiche Änderungen vorgenommen. Dabei mussten fast alle Bauteile ausgetauscht werden: Zylinderbuchse und Wasserleitmantel, Zylinderkopf, Kolben und Kolbenringe. Grund dafür war die Vergrößerung der Zylinderbohrung von 48 auf 51 Zentimeter. Außerdem gab es neue Ventilnocken sowie umfangreiche Modifikationen an den Einspritzkomponenten und am Turbolader.
Da die Steuerung eines Zweistoffmotors deutlich komplexer ist als die eines herkömmlichen Schwerölmotors, gab es auch hier Anpassungsbedarf. Die Sensorik der Maschine musste umgebaut werden, zudem wurden neue Instrumente erforderlich. Alles in allem wurden für die Umrüstung des Viertakters annähernd 30 Tonnen Material benötigt.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv im Norden leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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