Hamburg. Zweieinhalb Minuten dauert die Fahrt nach oben, fast so lang wie das Kirchenlied „Näher, mein Gott, zu dir“. Das bezieht sich auf die Geschichte von Jakobs Himmelsleiter – und würde passen, um die Einweihung der Konstruktion zu begleiten: Immerhin geht es um eine Rolltreppe, die es so nur einmal auf der Welt gibt. In einem einmaligen Gebäude: Es handelt sich um die Elbphilharmonie, das spektakuläre Konzerthaus auf einem alten Speicher im Hamburger Hafen.
Die Rolltreppe, entwickelt und gebaut vom Spezialisten Kone im Auftrag des Generalunternehmers Hochtief, verbindet den Eingang mit der knapp 22 Meter höher gelegenen sechsten Etage. Genau genommen sind es zwei Rolltreppen nebeneinander, eine aufwärts, eine abwärts. Sie sind je 82 Meter lang: Rekord in Westeuropa! Von einem Ende ist das andere aber nicht zu sehen – die Treppe ist gebogen.
Kone-Projektleiter Heinrich Zeiger (59) erinnert sich gut an die Anfänge. Der promovierte Physiker wurde 2007 von einem Kollegen angesprochen: „Wir haben da was vor, aber es ist sehr ambitioniert – die wollen eine Lösung, die es so noch nicht gegeben hat.“
Mit „die“ waren die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron gemeint, in deren Büro der kühne Philharmonie-Entwurf entstand. Und der spektakuläre Zugang: Die bogenförmige Doppel-Rolltreppe steckt in einer Röhre, die sich nach oben hin verjüngt. Die Wände, hell verputzt, sind bestückt mit Tausenden von weißen Glaspailletten.
Auf der Fahrt nach oben versuchen wir, ihre Zahl zu schätzen, geben aber schnell auf. Zeiger lacht. „7.900 Stück“, sagt er. „Zumindest steht das so im Entwurf. Der Architekt hat vorgegeben, wie die Pailletten angeordnet werden sollen.“
Oben angelangt, öffnet Zeiger eine provisorische Tür und wartet gespannt auf die Reaktion seiner Gäste. Und in der Tat, das Erlebnis ist überwältigend: An einer breiten Fensterfront bietet sich ein sensationeller Ausblick auf die Elbe und das Treiben im Hafen. Spätestens jetzt versteht man, warum die Planer der Elbphilharmonie so leidenschaftlich für ihre Vision gekämpft haben.
In dem Gebäudekomplex sind nach der Fertigstellung drei Konzertsäle zu finden, ein Hotel und 45 Wohnungen. Ein Höhepunkt für alle Besucher wird die Plaza sein, ein frei zugänglicher Platz in 37 Meter Höhe mit 360-Grad-Panorama-Blick. Diese Plattform ist über eine zweite, etwas kürzere Rolltreppe zu erreichen. Die Bogen-Rolltreppe, die Kone konstruierte, wird also eine zentrale Rolle spielen, obwohl der Komplex zusätzlich 29 (!) Aufzuganlagen hat.
Eine spezielle Herausforderung für Projektleiter Zeiger und seine Leute ergab sich aus dem hohen Gewicht der Konstruktion und den baulichen Verhältnissen.
Fünf Motoren müssen synchronisiert werden
„Wir mussten völlig neu denken“, sagt er, „denn im Betrieb wirken enorme Kräfte: Wenn auf jeder Stufe pro Seite ein Besucher mit 75 Kilo Gewicht steht, kommen so 30 Tonnen zusammen.“
Das ist mit einem einzigen Antrieb – bei normalen Rolltreppen üblich – unmöglich zu schaffen. Die Kone-Spezialisten setzten daher auf vier Elektromotoren für die Stufen und einen für den Handlauf. „Die Kunst besteht darin, alles optimal zu synchronisieren, deshalb sind die Motoren mit Drehzahlsensoren ausgestattet, die ihre Signale an eine Steuerelektronik schicken.“
Derzeit werden die letzten Arbeiten an der Rolltreppe abgeschlossen, danach beginnt das Warten auf die Eröffnung des Konzerthauses 2017. Die Rolltreppen allerdings laufen schon im November 2016 an, wenn die Plaza für die Öffentlichkeit geöffnet wird. Man darf gespannt sein, welches musikalische Programm die Organisatoren für die Einweihung vorbereitet haben.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv im Norden leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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