Als sich im März 2021 der Containerriese „Ever Given“ im Suezkanal verkeilte, war die Not groß. Die Passage zwischen Rotem Meer und Mittelmeer zählt zu den wichtigsten Wasserstraßen der Erde, rund 10 Prozent des Welthandels laufen durch den Kanal. Und plötzlich war alles blockiert.
Umso größer war die Freude, als es schließlich gelang, den Havaristen freizuschleppen. Mehrere Schlepper kamen dabei zum Einsatz, und einer davon war die „ALP Guard“, ein 24.500 PS starkes Spezialschiff, das in Cuxhaven gebaut und von der Hitzler Werft in Lauenburg konstruiert worden war.
Eigentümerwechsel Anfang März 2021
„Natürlich haben wir die Bilder gespannt im Fernsehen verfolgt“, erzählt Marek Klimenko, unter dessen Leitung die Konstruktion stattfand. „Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht. Wenn man elf Monate lang intensiv an so einem Projekt arbeitet, erkennt man so ein Schiff auf den ersten Blick.“
Heute, 13 Jahre nach dem Stapellauf der „ALP Guard“, arbeitet Klimenko immer noch auf der Hitzler Werft, aber mittlerweile unter anderen Vorzeichen: als Chef. Denn Anfang März 2021 übernahm der 58-Jährige den kompletten Betrieb, gemeinsam mit seinem Sohn Kai (26), der nun mit seinem Vater die Werft führt.
Zahlreiche Investoren waren interessiert
Die Betriebsversammlung, auf der die Neuigkeit verkündet wurde, werde er nie vergessen, erzählt Marek Klimenko. Der bisherige Besitzer Franz C. Hitzler hatte früh mit der Suche nach einer passenden Nachfolgelösung begonnen, aber es war schwieriger als gedacht. Insgesamt dauerte die Suche mehr als acht Jahre.
Die Auftragslage der Hitzler Werft ist gut, die neuen Eigentümer sind zuversichtlich
„Die Investoren gaben sich die Klinke in die Hand“, sagt Klimenko. „Im Gespräch waren ganz unterschiedliche Ideen, doch viele passten einfach nicht.“ Die einen Interessenten wollten lediglich bestimmte Teile der Werft erhalten, die anderen schielten auf die Immobilie und hatten vor, auf dem Gelände Wohnungen zu errichten.
Erste Bank-Gespräche im Jahr 2019
Irgendwann begannen auch die Klimenkos, sich mit dem Thema zu befassen. „Wir hörten, dass der Betrieb verkauft werden soll“, erzählen sie bei einem Gang über das Werftgelände. „Gleichzeitig wuchs damit allerdings auch bei uns und den anderen Kollegen die Sorge, dass das Neubaugeschäft früher oder später eingestellt wird.“
Also nahmen sie 2019 erste Gespräche mit den Banken auf und sondierten die Lage. Und offenbar sprang der Funke über, jedenfalls reagierten die Ansprechpartner in der Kreditabteilung positiv. Klimenko: „Im Herbst 2020 gab die Bank dann ihr Okay, und Ende Februar war alles in trockenen Tüchern. Seit Anfang März leiten wir die Werft nun als Doppelspitze.“
Maritime Weltneuheit in der Pipeline
Eine gute Nachricht, auch für die rund 50 Mitarbeiter des Unternehmens. Sie haben aktuell richtig gut zu tun und müssen keinen Kahlschlag befürchten.
Ein Auftrag, der bereits in der Pipeline ist, dürfte international für große Aufmerksamkeit sorgen, handelt es sich doch um eine echte Weltneuheit. Die Werft soll für die Firma Wallaby Boats aus Kappeln das weltweit erste Arbeitsschiff mit Federung bauen.
Schiff mit Federungssystems
Klingt komisch, ist aber so. Das Prinzip der Konstruktion ist ebenso einfach wie effektiv: Mithilfe eines Federungssystems soll die Fahrt für die Passagiere sicherer und angenehmer werden, Seekrankheit soll der Vergangenheit angehören.
Den Kooperationsvertrag unterschrieben die beiden Unternehmen im Beisein von Wirtschaftsminister Bernd Buchholz. „Das Start-up Wallaby Boats zeigt einmal mehr, wie innovativ und wettbewerbsfähig unser Mittelstand im echten Norden ist. Es freut mich sehr, dass hier das weltweit erste Boot seiner Art gebaut wird“, so der Minister.
Die Idee kommt aus Australien
Das Prinzip „gefederte Katamarane“ ist nicht neu und stammt aus Australien: Nauti-Craft baut bereits Boote solcher Art, Wallaby Boats überträgt das System jetzt erstmals auf die kommerzielle Schifffahrt.
Bei Wallaby sind die Rümpfe des Katamarans vom Brückendeck, dem sogenannten Chassis, getrennt und über vier Federbeinkonstruktionen mit diesem verbunden. Genutzt werden sollen die Boote hauptsächlich für den Crew-Transport in der Offshore-Industrie und für Lotsen.
Ausgefeilte Technik gegen Seekrankheit
Dank der ausgefeilten Technik ist es möglich, den Einfluss des Seegangs auf die Personen an Bord um mindestens 40 Prozent zu reduzieren. Das macht den Überstieg der Techniker auf Offshore-Windkraftanlagen oder der Lotsen auf Frachter erheblich komfortabler und sicherer. Der Prototyp soll bereits Anfang des zweiten Quartals 2022 in Lauenburg vom Stapel laufen.
Danach wird sich zeigen, ob das Konzept funktioniert, denn das Schiff soll künftig Servicepersonal und Techniker zu den EnBW-Windparks „Baltic 1“ und „Baltic 2“ auf der Ostsee bringen. Anschließend soll der Zubringer in den rauen Gewässern der Nordsee und des Ärmelkanals getestet werden.
Ein „Schlickpflug“ für Hamburg
Ähnlich ungewöhnlich ist ein rund 25 Meter langer Neubau, der im Auftrag der Flotte Hamburg entsteht und schon weitgehend fertig ist. Es handelt sich um ein sogenanntes Planierschiff mit „Schlickpflug“, das bei ablaufendem Wasser liegen gebliebenen Schlick aus den flacheren Bereichen des Hafens dorthin ziehen soll, wo die Baggerschiffe ihn ohne großen Aufwand beseitigen können.
Ein Vorteil dieses Verfahrens ist, dass das Sediment im Gegensatz zur ansonsten üblichen Wasserinjektion nicht übermäßig aufgewirbelt wird. Davon profitieren nicht nur die Fische, sondern auch alle anderen Lebewesen, die sich mittlerweile wieder in der Elbe tummeln.
Mit Hybridantrieb sauber durch den Hafen
Auch mit anderen Merkmalen kann die „Chicago“ ökologisch punkten. Sie ist mit einem Hybridmotor und einem leistungsstarken Batteriepack ausgestattet und kann damit im Hafengebiet weitgehend emissionsfrei arbeiten. Die Akkus können sowohl in den Pausen an der Ladestation als auch während des Einsatzes mithilfe des bordeigenen Stroms geladen werden.
Kai Klimenko: „Die Nutzung alternativer Antriebstechniken wird perspektivisch immer wichtiger, auch in der maritimen Welt. Insofern freut es uns sehr, dass wir mit unserem Hybridantrieb zeigen können, was technisch und wirtschaftlich möglich ist.“
Ein berühmter Kollege auf der Danziger Werft
Der 26-Jährige hat Betriebswirtschaft studiert und ist damit eine perfekte Ergänzung zu seinem technisch begabten Vater, der vor 31 Jahren aus Polen nach Deutschland kam und Schiffbauer mit Leib und Seele ist.
Gelernt hat er sein Handwerk auf einer Werft in Gdansk, dem früheren Danzig. Der polnische Betrieb wurde Anfang der 80er Jahre weltweit bekannt, weil der Elektriker Lech Walesa dort die Gewerkschaft Solidarność gründete. Sie hatte entscheidenden Einfluss auf die politische Wende in Polen und auf das Ende des Kommunismus in den Ländern Osteuropas.
Als die Grenzen schließlich offen waren, ging Marek Klimenko 1990 nach Deutschland und landete in Lauenburg. „Dort habe ich in der Hitzler Werft sofort eine Arbeit als Schleifer bekommen“, erzählt er. „Dafür bin ich noch heute dankbar.“
„Die Krönung meines Lebenswerks“
Doch Marek Klimenko war ehrgeizig und machte schnell Karriere. Nach Stationen im Modellbau, als Konstrukteur und Projektleiter wurde er schließlich Leiter des Konstruktionsbüros.
Dass er nun nach 31 Jahren zum Geschäftsführer und Inhaber geworden ist, sieht Marek Klimenko als „Krönung meines Lebenswerks, für die ich zutiefst dankbar bin“. Die Übernahme der Werft war für ihn kein Investment, sondern eine Herzensangelegenheit.
Verantwortung für 50 Kollegen
Ähnlich sieht es Sohn Kai. „Wir haben von Franz C. Hitzler nicht nur ein spannendes Unternehmen übernommen, sondern vor allem Verantwortung für die 50 Kollegen, die hier arbeiten und meinen Vater alle persönlich kennen. Wir fühlen uns den Traditionen der Werft verpflichtet und der Stadt Lauenburg eng verbunden.“
Die beiden Klimenkos sind übrigens nicht das einzige Vater-Sohn-Gespann bei Hitzler. Da die Fluktuation in der Belegschaft vergleichsweise klein ist, sind viele Mitarbeiter schon seit Jahrzehnten dabei. Und gleich drei Kollegen haben inzwischen auch einen Sohn auf der Werft.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv im Norden leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
Alle Beiträge des Autors