Als nach vier Stunden der Vorhang fiel, hielt es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen. Zwölf Minuten applaudierten die Opern-Fans den Sängern der Mailänder Scala, die in Wagners „Tristan und Isolde“ alles gegeben hatten. Vor allem der „Liebestod“ der Isolde hinterließ einen starken Eindruck, zumal er mit einer technischen Finesse überraschte: Pünktlich zur letzten Arie lief der Darstellerin plötzlich, wie von Zauberhand ausgelöst, Blut über das Gesicht, was dem Geschehen auf der Bühne eine höchst dramatische Note gab.
Eine kleine Pumpe im Haar der Opernsängerin
Dieser Effekt, der Ende 2007 beim Scala-Saisonauftakt für einiges Aufsehen sorgte, war das Werk italienischer Trickspezialisten, aber die Technik dafür kam aus Schwerin. Hier, in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern, sitzt die Firma HNP Mikrosysteme (HNPM), die genau das liefern konnte, was die Mailänder brauchten: Eine winzige Pumpe, die – versteckt im Haar der Sängerin – auf Knopfdruck eine definierte Menge Flüssigkeit abgibt.
Die Pumpe hat einen Durchmesser von nur 13 Millimetern und ist im HNPM-Katalog unter der Bezeichnung „mzr-2921“ zu finden. „Das Buchstabenkürzel steht für Mikrozahnringpumpe“, sagt Geschäftsführer Thomas Weisener. „Auf diese Art von Pumpen sind wir spezialisiert, und das seit mittlerweile 20 Jahren. Was wir hier machen, ist weltweit einzigartig.“
Mikrozahnringpumpen sind miniaturisierte Rotationsverdrängerpumpen und bestehen im Prinzip aus drei zentralen Bauteilen: einem Gehäuse, einem Innenzahnrad und einem äußeren Zahnring.
Das mittig gelagerte Zahnrad treibt einen äußeren exzentrisch gelagerten Zahnring an. Dadurch entstehen Räume, die sich ständig verkleinern und wieder vergrößern und so eine Saug- und Förderwirkung erzeugen. Weil Zahnringpumpen eine geringe Geräuschentwicklung und eine hohe Laufruhe haben, werden sie auch gern in Fahrzeugen eingesetzt, wo sie den Transport des Motoröls übernehmen.
Sauberkeit ist das oberste Gebot in der Produktion
Die Pumpen, die bei HNPM in Schwerin entstehen, sind allerdings ungleich kleiner. So klein, dass selbst winzigste Fremdkörper im Gehäuse die Funktion empfindlich beeinträchtigen können. Daher wird in dem ganzen Trakt penibel auf Sauberkeit geachtet.
Geschäftsführer Weisener streift einen weißen Kittel über und zeigt auf ein Tablett mit Bauteilen, die gerade für die Montage zusammengelegt werden. „Auf dieses Modell sind wir besonders stolz“, sagt er. „Die Pumpe ist so präzise, dass sie die Menge eines einzigen Wassertropfens über einen ganzen Tag verteilt abgeben kann.“
Ein Blick auf das Datenblatt liefert die konkreten Zahlen dazu – die kleinste Dosiermenge der Pumpe liegt bei 0,25 Mikrolitern. Der Autor aus Hamburg greift verstohlen zum Smartphone, um die seltene Maßeinheit zu googeln, aber Weisener ist schneller: „Ein Mikroliter ist ein Tausendstel eines Milliliters. Sie brauchen von dieser Dosis also eine Million Einheiten, um eine Literflasche zu füllen.“
Aus Forschern wurden erfolgreiche Unternehmer
Der promovierte Maschinenbauer Weisener ist ein schönes Beispiel dafür, wie aus Wissenschaftlern Unternehmer werden können. Die Erfolgsgeschichte von HNPM begann Mitte der 90er-Jahre am Fraunhofer IPA in Stuttgart, wo er mit seinem Kollegen Gerald Vögele in der Forschung tätig war. „Eigentlich wollten wir damals eine kleine Pumpe für einen Herzkatheter entwickeln“, erzählt Weisener. „Die Idee war gut, aber am Ende hat sich etwas anderes daraus entwickelt. Wir spezialisierten uns auf Dosiertechnik.“
Die Geschäftsidee führte zur Gründung einer kleinen GmbH mit zunächst fünf Mitarbeitern, die in den ersten Jahren Teil der Unternehmensgruppe Hydraulik Nord in Parchim war – daher die Abkürzung HNP. 2007 folgte der nächste Schritt, der Pumpenbauer verließ die Gruppe und wurde eine eigenständige Firma, die aktuell von fünf Gesellschaftern gehalten wird und rund 80 Mitarbeiter beschäftigt.
Eine gute Entscheidung, sowohl für die Anteilseigner als auch für die Belegschaft. HNPM entwickelte sich seither mit jährlichen Wachstumsraten im zweistelligem Bereich zu einem anerkannten Marktführer in seinem Segment.
Das hat sich mittlerweile auch außerhalb der Pumpen-Branche herumgesprochen, wie man bei einem Gang durchs Haus feststellen kann. An den Wänden hängen diverse Urkunden und Auszeichnungen, die das Unternehmen in den vergangenen Jahren bekam.
10 Prozent des Umsatzes fließen in die Entwicklung
Ende 2010 etwa wurde der Betrieb im bundesweit ausgetragenen Innovations-Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“ als Preisträger ausgewählt. Und 1999 gab es sogar gleich zwei Preise nacheinander: HNPM erhielt den Ludwig-Bölkow-Technologiepreis der Industrie- und Handelskammer Schwerin und den Designpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern in der Kategorie Produktdesign.
Besonders stolz ist das Unternehmen darauf, dass alle Produkte selbst entwickelt werden. Weisener: „Wir investieren durchschnittlich ein Zehntel unseres Umsatzes, der derzeit bei etwa 8 Millionen Euro liegt, in Forschung und Entwicklung. Dadurch können wir für nahezu jede Anforderung eine Lösung liefern.“
Die Kundschaft der Schweriner kommt tatsächlich aus sehr unterschiedlichen Branchen. Die Hälfte der rund 6.000 Mikropumpen, die der Betrieb jährlich produziert, geht in den Bereich Life Science, die andere Hälfte landet mehrheitlich bei Abnehmern aus der Maschinenbau- und Chemie-Industrie.
Die Technische Universität Garching in Bayern orderte beispielsweise mehrere Pumpen, um damit künstliche Spinnfäden für extrem stabile Synthetik-Seide zu produzieren. Verwendet wird diese Faser unter anderem in der Herstellung von kugelsicheren Westen.
Und auch im Weltraum wird mit HNPM-Produkten gearbeitet. Vor einigen Jahren wurden acht Minipumpen in die Raumstation ISS gebracht, wo sie im biologischen Labor Einsatz finden. Selbst die Nasa hat schon angeklopft, als sie zuverlässige Pumpen für ihre Mars-Sonde zur Suche nach Wasser auf dem Roten Planeten benötigte.
„Wir profitieren von einem weltweiten Trend, der eigentlich gerade erst angefangen hat“, bilanziert Geschäftsführer Weisener. „Von dem Trend zur Miniaturisierung. Alles wird kleiner und kompakter, immer mehr Funktionen müssen auf immer weniger Raum untergebracht werden. Viele Wertschöpfungsketten beginnen mit der Anwendung unserer Pumpen.“
Um für die Zukunft auch personell optimal gerüstet zu sein, setzen die Schweriner konsequent auf aktive Nachwuchsarbeit. Es gibt zahlreiche Praktikumsmöglichkeiten für Schüler und Studenten, viele der Teilnehmer kommen später in das Unternehmen zurück.
Zahnringpumpen haben einen außenverzahnten Innenrotor und einen innenverzahnten Außenrotor, die exzentrisch zueinander gelagert sind. Beide bilden während der Rotation ein System von mehreren abgedichteten Förderkammern. Bei der Drehung der Rotoren um ihre versetzten Achsen verändern sich die Förderkammern kontinuierlich, wodurch ein gleichmäßiger Förderstrom entsteht.
Wenn demnächst der Andrang auf die natur- wissenschaftlichen Fächer an den Unis im Nordosten rapide ansteigt, könnte das auch an Thomas Heinze (35) liegen. Er kümmert sich mit großem Engagement um den Nachwuchs, vor allem durch seinen Einsatz im VDIni-Club Schwerin. Hier lernen Mädchen und Jungen auf spielerische Weise die Welt der Technik kennen.
Heinze arbeitet seit 2008 als Entwicklungs-Ingenieur bei HNP Mikro- systeme und übernahm den ehrenamtlichen Job beim VDIni-Club von einer Vorgängerin, die nach Hamburg wechselte.
Technisches Wissen spielerisch vermitteln
„Aus meiner eigenen Praktikums- zeit weiß ich, wie wichtig praktische Erfahrungen sind“, sagt er. „Außerdem macht die Arbeit mit den Kindern richtig Spaß.“
Ein Highlight war 2015 eine Veranstaltung zum Thema Luft- und Raumfahrt. Um den Kindern die physikalischen Grundlagen zu veranschaulichen, baute Heinze eigenhändig Startrampen, mit denen man Wasserraketen hoch in die Luft schießen konnte. Davon schwärmen die Kinder heute noch.
Wie kamen Sie zu Ihrem Job?
Ich hatte bei HNP Mikrosysteme bereits ein Praktikum gemacht und dann meine Abschlussarbeit dort geschrieben. Als mein Studium endete, bot man mir eine Stelle an.
Was gefällt Ihnen besonders?
Es gibt immer wieder neue Herausforderungen, die zu meistern sind. Da kommt keine Langeweile auf. Außerdem ist das Klima sehr gut.
Worauf kommt es an?
Man braucht vor allem technisches Verständnis und eine Aufgeschlossenheit für Neues, da die Produkte ständig weiterentwickelt werden.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv im Norden leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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