Wenn alles klappt, ist es bald so weit – die Elbphilharmonie feiert ihre Einweihung. Am 11. Januar 2017 öffnet das Konzerthaus im Hamburger Hafen endlich seine Türen für die Besucher. Das Interesse ist riesig, die ersten Veranstaltungen sind längst ausverkauft.
Besonders gespannt ist man auf den „Großen Saal“. Seine Bühne besteht aus 31 Segmenten, die im Halbkreis angeordnet sind und sich per Knopfdruck hoch- und runterfahren lassen. Ein echter Kraftakt, der allerdings nicht mit einer einfachen Hydraulik gestemmt wird, sondern mit einer ausgefeilten mechanischen Konstruktion, angetrieben von Gelenkwellen, wie bei fast allen großen Bühnen auf der Welt.
Mit einer Tankstelle im Süden von Hamburg fing alles an
„Das hat unter anderem Sicherheitsgründe“, sagt Steffen Schmitter von der Gelenkwellenfabrik Wilhelm Sass, die die benötigten Wellen geliefert hat. Hydraulik-Zylinder, so Schmitter, haben den Nachteil, dass sie an Schläuchen hängen. Und die können platzen.
Bei Gelenkwellen gibt es solche Gefahren nicht, sie sind relativ einfach konstruiert und äußerst robust. Schmitter zeigt auf eine lange Holzkiste mit gelb lackierten Wellen, die gerade für den Versand vorbereitet werden. „Eigentlich ist es nur ein stabiles Rohr mit einem Kardangelenk an beiden Enden“, sagt er.
Schmitter kennt sich aus, er ist seit 1997 Key Account Manager in dem Familienbetrieb, der im vergangenen Jahr seinen 80. Geburtstag feierte. Firmengründer Wilhelm Sass hatte anfangs eine kleine Tankstelle mit Autoreparaturbetrieb, ehe er 1935 in die Gelenkwellen-Produktion wechselte.
Ein Kranz von Freddy Quinn für das Grab des Gründers
Der gelernte Kfz-Meister war offenbar ein echtes Multitalent, er tummelte sich nebenbei auch im Schiffbau. Schmitter: „Als unser Gründer 1986 starb, kam unter anderem ein großer Kranz vom Sänger Freddy Quinn. Mit dem hatte Sass seinerzeit gemeinsam einen Kutter umgebaut.“
Die Gelenkwellenfabrik wurde später von seinem Neffen Sönke Reimers übernommen. Der zog mit dem Betrieb 1999 aus dem Hamburger Süden ins schleswig-holsteinische Stapelfeld, wo der Betrieb heute rund 27 Mitarbeiter beschäftigt, fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren.
Die meisten von ihnen sind schon lange dabei, viele kamen als Zeitarbeiter in die Firma und wurden dann übernommen. Schmitter: „Gelenkwellen-Bauen ist kein Ausbildungsberuf, unsere Kollegen stammen aus allen möglichen Sparten und haben sich ihr Know-How in vielen Jahren erarbeitet. Dieser Erfahrungsschatz macht uns so erfolgreich.“
Erfahrung ist bei Sass vor allem deswegen wichtig, weil es hier kein Standardprodukt gibt. „Sonderkonstruktionen sind bei uns nicht die Ausnahme, sondern die Regel“, sagt Produktionsleiter Dennis Humpke. „Wir fertigen schätzungsweise 20.000 Gelenkwellen pro Jahr, und viele davon sind Spezialanfertigungen. Das ist unsere Stärke.“
Eine kluge Strategie, denn mit Großserien lässt sich im Gelenkwellen-Business kaum noch Geld verdienen – zumindest, wenn man in Deutschland produziert. „Dieses Segment“, sagt Schmitter, „überlassen wir gern anderen. Wir haben uns einen Ruf als Spezialist für besondere Wellen und Kleinserien gemacht und können das liefern, was die Großen nicht im Sortiment haben.“
Perfektes Recycling für verschlissene Wellen
Mit diesem Ansatz ist es dem Mittelständler gelungen, den Umsatz auf aktuell rund 4 Millionen Euro pro Jahr zu steigern. Die Kunden kommen aus allen Bereichen der Wirtschaft. Viele sind im Maschinenbau tätig, andere in der Fahrzeug-Industrie, im Schiffbau oder im Druckmaschinenbereich.
Auch Stahlwerke arbeiten mit den Gelenkwellen von Wilhelm Sass. Dort findet, wenn die Teile durch den hohen Verschleiß irgendwann das Ende ihrer natürlichen Lebenszeit erreicht haben, vor Ort gleich das Recycling statt. Schmitter: „Ein Aufarbeiten der verschlissenen Wellen wäre wirtschaftlich nicht rentabel, deswegen werden sie einfach in den Schmelzofen geworfen.“
Und natürlich müssen auch regelmäßig neue Modelle entwickelt werden, um die wechselnden Anforderungen der Kunden zu erfüllen. Dazu steht im Konstruktionsbüro ein moderner 3-D-Drucker, auf dem Kunststoff-Prototypen für neue Gelenkköpfe gefertigt werden.
Manchmal stößt allerdings auch dieses Gerät an seine Grenzen. Zum Beispiel, wenn ein Kunde eine Welle mit einem Gelenkflansch von 435 Millimeter Durchmesser haben will. Das ist aktuell das größte Kaliber, das die Schleswig-Holsteiner im Angebot haben.
Die maximale Länge für Sass-Wellen liegt bei etwa sechs Metern – mehr ist aus technischen Gründen ohnehin nicht sinnvoll, weil bei zu langen Wellen die Gefahr bestünde, dass das rotierende Teil zu schwingen beginnt. Immerhin drehen sich die Wellen je nach Einsatzzweck mit bis zu 5.000 Umdrehungen pro Minute.
Eine eilige Bestellung aus Spanien? Kein Problem!
Ins Rotieren kommt bisweilen auch der Versand von Sass, wenn ein Kunde es eilig hat. Schmitter erinnert sich an einen Fall, bei dem eine Order aus dem Ausland kam.
„Der Kunde saß in Spanien“, erzählt er, „und wollte die Welle so schnell wie möglich haben. Der normale Versand durch den Logistikdienstleister hätte zu lang gedauert.“ Die Lösung: Schmitters Papa, der bereits in Rente ist, setzte sich ins Auto und lieferte die Ware höchstpersönlich aus.
Begegnung mit …
Antonino Borzi: „Wir haben ein super Klima“
Als Antonino Borzi bei Wilhelm Sass anfing, lebte der Gründer noch, und die Firma hatte ihren Sitz im Hamburger Stadtteil Kirchwerder. „Das war eine ganz alte Halle“, erinnert sich der gebürtige Sizilianer. „Im Winter gab es vom Chef manchmal Glühwein für alle, weil es so bitterkalt in der Produktion war.“
Das Betriebsklima allerdings war immer schon gut. Borzi: „Bei uns kennt jeder jeden, und morgens geht man erst mal rum und begrüßt alle per Handschlag. Wir haben hier eine super Atmosphäre, das gefällt mir.“
Borzi kam mit 14 Jahren nach Deutschland und wuchs in Hamburg-Curslack auf. „Es heißt ja immer, die Norddeutschen seien so distanziert“, sagt der 55-Jährige, „aber davon habe ich nichts gemerkt. Ich habe mich hier gleich sehr wohl gefühlt.“
Zu seinen Kollegen hat er auch privat einen guten Draht. Mit einem geht er regelmäßig angeln, mit anderen wird gegrillt.
Mein Job
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Auf der Suche nach einer Lehrstelle sah ich eine Anzeige von Sass und habe mich gleich beworben. Das Vorstellungsgespräch hatte ich mit dem Gründer, der hat mich dann eingestellt.
Was gefällt Ihnen besonders?
Die Arbeit ist sehr vielseitig und abwechslungsreich, es wird nie langweilig.
Worauf kommt es an?
Man sollte Spaß an der Arbeit mit Metall und praktische Erfahrungen in diesem Bereich haben, alles Weitere lernt man dann schon.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv im Norden leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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