Manchmal fällt als Erstes das auf, was nicht da ist. Bei GKN Driveline in Kiel ist es der Metallschrott, der fehlt. Die üblichen Container für Verschnitt- und Spanmaterial sind auf dem Werkgelände kaum zu finden, was durchaus überraschend ist, wenn man bedenkt, dass der Kieler Autobau-Zulieferer rund 8,7 Millionen Wellen pro Jahr produziert.
Orhan Gün strahlt, wenn man ihn darauf anspricht. „Stimmt“, sagt der Fertigungsleiter. „Wir haben unsere Produktion so optimiert, dass wir fast komplett auf die spanabhebende Bearbeitung verzichten können, die in anderen Firmen noch Standard ist. Gesägt, gedreht und gefräst wird bei uns kaum noch. Ein großer Wettbewerbsvorteil, man spart Zeit und Geld. Wie das technisch geht, zeige ich Ihnen gleich in der Werkhalle.“
Wie baut man Wellen? Ein Video über GKN Driveline:
Geleitet wird der Standort von der früheren Personalchefin
Schon auf dem Weg in die Halle wird klar, dass es noch weitere Dinge gibt, die bei GKN Driveline etwas anders sind. Das fängt in der Chefetage an – dort sitzt nämlich eine Frau. Für einen so großen Betrieb der deutschen Metall- und Elektro-Industrie eher ungewöhnlich.
Werkleiterin Andrea Fischer ist seit Mitte 2012 im Unternehmen und war zunächst für den Personalbereich zuständig. Als dann vor einiger Zeit die Stelle der Werkleitung neu besetzt werden musste, beauftragte GKN die Diplom-Psychologin mit der Führung des 300-Mann-Betriebs an der Rendsburger Landstraße.
„Gute Entscheidung“, sagt ein Mitarbeiter, der gerade seine Schicht angetreten hat. „Unser Chefin kennt so ziemlich jeden Mitarbeiter im Haus und hat viele meiner Kollegen persönlich eingestellt.“
Eine von ihnen ist Hanna Pleger, die bei GKN eine Ausbildung zur Zerspanungsmechanikerin absolviert. Die 18-Jährige hat 2015 in der Firma angefangen und ist nun im vierten Lehrjahr. Die Entscheidung für GKN hatte auch familiäre Gründe, denn ihr Vater kennt das Unternehmen seit vielen Jahren – er ist als Schlosser im Betrieb tätig.
„Keine Seltenheit bei uns“, sagt Andrea Fischer. „Wir haben relativ viele Kollegen, deren Kinder ebenfalls hier arbeiten oder eine Lehre machen. Ich glaube, das kann man als positives Zeichen werten. Offenbar fühlen sich unsere Mitarbeiter bei GKN gut aufgehoben.“
Eine Einschätzung, die Produktionsleiter Gün bestätigt. Er zeigt auf ein Foto am Schwarzen Brett der Ausbildungswerkstatt. „Mein Neffe“, sagt er. „Erstes Lehrjahr, gerade erst angefangen, aber ich glaube, er wird sich hier richtig wohlfühlen.“
Die Wellen sind hohl, aber extrem stabil und langlebig
Einige Meter weiter richtet Nikolai Kesow gerade einen Roboterarm ein, mit dessen Hilfe die Vorgänge an der Maschine weitgehend automatisch ablaufen. „An Stationen wie dieser entstehen in mehreren Schritten unsere Wellen“, sagt Orhan Gün. „Auch hier sehen Sie keine Späne, denn die Teile erhalten ihre Form in erster Linie durch Hämmern, Walzen, Ziehen und Stauchen.“
Etwa 300 verschiedene Wellenmodelle kann GKN so fertigen, da jeder Autobauer für seine Fahrzeuge eigene Spezifikationen hat. Im fertigen Zustand sehen die Teile eher unscheinbar aus, doch es handelt sich um echte Hightech-Produkte.
Gün greift in einen Container und holt eine Welle heraus. „Heben Sie mal hoch“, sagt er. „Leichter, als man denkt. Die meisten Wellen sind nämlich innen hohl. Und trotzdem so stabil, dass sie Hunderttausende von Kilometern halten, obwohl sie ja die Motorkraft auf die Räder übertragen und extrem beansprucht werden.“
Innovativ sind die Kieler auch in Sachen Nachwuchsarbeit. Standortleiterin Fischer: „Ausbildung und Personalentwicklung hatten bei uns immer schon einen hohen Stellenwert. Unter anderem arbeiten wir eng mit Schulen und Hochschulen zusammen, um junge Leute auf uns aufmerksam zu machen.“
Ein Beispiel dafür ist die gerade abgeschlossene GKN-Aktion im Rahmen der Initiative „Perspektive Berufsausbildung“ (PeB). Es handelt sich um einen Fonds zur Förderung von Projekten zur Integration benachteiligter Jugendlicher in die betriebliche Ausbildung, aufgelegt vom Arbeitgeberverband Nordmetall und IG Metall Bezirk Küste.
Praktika für Jugendliche aus regionalen Förderschulen
GKN war sofort dabei und ermöglichte mehreren Förderschülern ein sechmonatiges Praktikum, bei dem sie einen Tag pro Woche den Arbeitsalltag im Betrieb erleben konnten. Auch die GKN-Azubis brachten sich ein, sie halfen den Jugendlichen beim Bau von selbst gestalteten Tischuhren aus Metall.
„Die Vorteile eines solchen Projekts gehen weit über die individuelle Ebene hinaus“, sagte Nordmetall-Präsident Thomas Lambusch bei der Abschluss-Veranstaltung. „Wir brauchen dringend Auszubildende, um die Zukunft der norddeutschen Industrie zu sichern. Jeder junge Mensch mit Interesse an der Metall- und Elektro-Industrie ist herzlich willkommen. Gleiches gilt für alle, die sich an der PeB-Initiative beteiligen wollen.“
Begegnung mit...
Michael Junge: Zu viert in der Firma
Als Michael Junge (oben links mit einem Kollegen) seine Dreher-Lehre bei GKN begann, hieß der Bundeskanzler noch Willy Brandt. 14 Jahre war er damals, und seine Kollegen raunen ehrfürchtig, es gäbe niemanden, der die Firma so gut kennen würde wie er.
Mittlerweile ist er 62, aber man merkt ihm das Alter nicht an. Junge lacht. „Ich habe sechs Kinder und acht Enkel“, sagt der Schichtmeister. „Das hält jung. Außerdem habe ich Spaß an meinem Job, da altert man nicht so schnell.“
Die Kids durften Papa zur Arbeit begleiten
Die Begeisterung hat sich offenbar auch auf seine Kinder übertragen, zumindest arbeiten drei seiner Söhne heute ebenfalls bei GKN. Einer ist sogar in der gleichen Abteilung wie der Papa und löst ihn ab, wenn Schichtwechsel ist. Junge: „Das liegt wohl auch daran, dass ich unsere Kinder früher oft in die Firma mitgenommen habe. Die fanden das immer schon spannend.“
Mein Job
Wie kamen Sie zu Ihrem Job?
Eigentlich wollte ich Koch werden, aber zwei Brüder von mir waren bereits bei GKN beschäftigt, und einer der beiden sagte: Bewirb dich doch einfach hier. Das tat ich dann, und es klappte auf Anhieb.
Was gefällt Ihnen besonders?
Da gibt es einiges. Das Betriebsklima ist klasse, der Job ist vielseitig, und man kann sehr selbstbestimmt arbeiten.
Worauf kommt es an?
Man sollte vor allem Spaß an technischen Dingen haben und aufgeschlossen sein für Neues.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv im Norden leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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