Am Ende der Laserschneidanlage, die äußerlich einem übergroßen Schuhkarton ähnelt, steht Eric Franke am Steuerpult und schaut aufmerksam zur Seite. Er beobachtet, wie exakt zugeschnittene Alu-Paneele nach und nach den Lasertunnel verlassen.
Die matt glänzenden Dreiecke wurde aus einem 2,62 Meter breiten Aluminiumband geschnitten, das nur 1,25 Millimeter dick ist. Franke ist mit dem Ergebnis zufrieden. „Beim Programmieren der Anlage kommt es darauf an, die einzelnen Paneele so auf dem Blech anzuordnen, dass man am Ende möglichst wenig Verschnitt hat.“
Am ersten Arbeitstag gleich nach Asien geflogen
Der 33-jährige Anlagenbediener hat die mit einem leistungsstarken Trumpf-Laser ausgerüstete Schneidanlage in der Ostsee Tank Solutions GmbH (OTS), einer Schwesterfirma des Stralsunder Spezialunternehmens Ostseestaal, mit aufgebaut und in Betrieb genommen.
Vor gut einem Jahr hat er sie beim Hersteller in China zum ersten Mal in Augenschein genommen. „An meinem ersten Arbeitstag bei OTS bin ich gleich nach Asien geflogen.“
Dort arbeiten, wo man üblicherweise Urlaub macht
Franke stammt aus Sachsen und war 2019 auf eine Stellenanzeige von OTS aufmerksam geworden. Die Aufgabe und auch die Ostsee reizten ihn. „Mit meiner Frau und meinen zwei Kindern bin ich immer gern an die Küste gefahren. Warum nicht dort arbeiten, wo wir sonst Urlaub machen?“ Kurzerhand zog die Familie von Riesa nach Stralsund.
Die Ostseestaal-Tochter OTS fertigt Tankdächer für Kunden in aller Welt
Bei OTS ist die Laserschneidanlage ein Kernstück zur Produktion von Tankdächern, die eine maximale Spannweite von 150 Metern haben können. Nach einer internen Machbarkeitsstudie war vor zwei Jahren die Entscheidung getroffen worden, eine hochautomatisierte Fertigung von großen Tankdächern, wie sie für Treibstofflager, Raffinerien und Wasserdepots benötigt werden, am Standort Stralsund zu etablieren.
Die Zollpolitik der USA gab den Anstoß
Zu dieser Zeit heuerte Thomas Schmidt (46) bei Ostseestaal an und stieg in das OTS-Projekt ein. Dieses hatte der Eigner von Ostseestaal, die niederländische Nimbus-Gruppe, angestoßen. Die Investmentfirma ist außerdem beteiligt an CTS Netherlands, einer weltweit operierenden Projektgesellschaft für Tanklager.
„Die rigide Zollpolitik der USA, vor allem bei Aluminium-Importen, hatte die Fertigung von Tankdächern für CTS in den Staaten unrentabel gemacht, sodass unser Gesellschafter beschloss, diese Produktion bei Ostseestaal anzusiedeln“, erzählt Schmidt, der bereits bei mehreren Industrieunternehmen Führungserfahrungen sammelte.
Technologische Herausforderung
Die Tankdächer sind ein gewaltiges gewölbtes Konstrukt, je nach Dachdurchmesser bestehend aus bis zu 3.000 Einzelteilen. Hauptbauteile sind Aluminiumprofile. Diese werden zu mehreren Hundert Dreiecken verschraubt, von denen jedes mit einem passgenauen Alu-Paneel verbunden und abgedeckt wird.
Verpackt nach dem Prinzip eines Bausatzes werden die einzelnen Komponenten zu den Tankstandorten transportiert und vor Ort montiert. Was in der Konstruktionsgeometrie klar strukturiert ist, stellte Ostseestaal jedoch vor eine enorme technologische Herausforderung.
Viel Eigenverantwortung, aber auch viel Entscheidungsfreiheit
„Die Fertigung der Tankdächer hat wenig mit dem Produktionsprofil von Ostseestaal gemein“, blickt General Manager Thomas Schmidt zu den Anfängen zurück. So kam es zur Gründung von OTS. „Das bedeutete viel Eigenverantwortung, aber auch viel Entscheidungsfreiheit.“
Da der Kooperationspartner CTS an einem zügigen Produktionsstart interessiert war, mussten zum Beispiel schnellstmöglich ein CNC-Bearbeitungscenter für die Profile und die Laserschneidanlage für die Paneele angeschafft werden. Während die CNC-Anlage zeitnah in Italien geordert werden konnte, zeigte sich der deutsche und europäische Maschinenbau außerstande, kurzfristig eine Laserschneidanlage in diesen Dimensionen zu liefern. „Wir mussten daher nach China ausweichen“, sagt Schmidt.
Rechtzeitig vor Corona gestartet
Ende Januar 2020 schließlich standen die einzelnen Baugruppen für den hochautomatisierten Laserzuschnitt endlich in der extra für OTS hergerichteten Fertigungshalle. Die ersten chinesischen Monteure waren ebenfalls eingetroffen. „Zum Glück“, betont Anlagenbediener Franke, „eine Woche später war wegen Corona keine Ausreise aus China mehr möglich.“
Einige Spezialisten mussten daheim bleiben. Trotzdem schafften es Franke und die anderen sieben OTS-Mitarbeiter, gemeinsam mit den Kollegen aus Fernost, nach gut acht Wochen die Dächerfertigung komplett in die Gänge zu bringen.
Kein Dach ist wie das andere
Zu diesem Zeitpunkt hatte Torsten Becker die Fertigung der Alu-Profile im CNC-Bearbeitungscenter bereits bestens im Griff. Der 32-jährige Industriemeister, der täglich von Sehlen auf der Insel Rügen nach Stralsund pendelt, bringt auf der computergesteuerten Anlage die angelieferten Alu-Profile auf die von der Konstruktion vorgegebenen Maße.
„Kein Dach ist wie das andere“, erklärt er. „Je nach Größe der Tanks und nach den Einsatzbedingungen müssen die Statik und die Geometrie neu berechnet werden.“ So sei einmal ein Dach nach Kuba geliefert worden, das Hurrikans standhalten muss. Für ein Projekt in Kolumbien musste das Konstrukt erdbebensicher ausgelegt sein. In jedem Fall ist Maßarbeit gefragt.
Auf den Zehntelmillimeter genau
„Wir fertigen auf den Zehntelmillimeter genau“, betont Manager Schmidt, „und das ISO- und CE-zertifiziert.“ Das sichert gute Marktchancen. Inzwischen ist OTS dazu übergegangen, das Produktdesign selbst voranzutreiben. Und auch den Vertrieb im deutschsprachigen Raum stellt OTS schrittweise auf eigene Beine.
Schmidt weiß dabei ein Team junger Leute an seiner Seite, die eine entscheidende Eigenschaft mitbringen, wie er sagt. Nämlich: „Sie haben alle Lust, etwas Neues zu gestalten.“