Die orange-gelb leuchtende „Metallsuppe“ in der Gießpfanne ist heiß. Sehr heiß. 1.172 Grad Celsius sind es laut Thermometer – exakt der Wert, auf den Schmelzer Andreas Duggert mit seinen drei Kollegen an der Gussform gewartet hat.

Per Fernbedienung dirigiert Duggert, der wie seine Mitstreiter einen langen Hitzeschutzmantel trägt, die am Kran hängende Pfanne an die Gießrinne. Das Startsignalhat zuvor Meister Marco Müller gegeben, der den Vorgang in der Gießereihalle der Mecklenburgischen Metallguss GmbH (MMG) aufmerksam verfolgt.

Dann geht alles sehr schnell. Binnen weniger Minuten fließen 7,5 Tonnen Schmelze in die Gussform für eine Propellerkappe. Die Kappe, die einen Durchmesser von zwei Metern hat und mit kurzen Flossen-Flügeln bestückt ist, zählt zu den leichtgewichtigeren Gussstücken, die in dem mittelständischen Betrieb in Waren an der Müritz gefertigt werden. Die auch als Propellerhauben bezeichneten Teile werden zusätzlich auf die Nabe von deutlich größeren Schiffspropellern aufgesetzt und bestehen wie diese aus einer Bronze-Aluminium-Legierung.

„Mit einer solchen Haube lassen sich die Strömungsverhältnisse am Propeller günstig beeinflussen“, erklärt Geschäftsführer Lars Greitsch. „Das erhöht die Effizienz des Antriebs um weitere 3 Prozent.“

Wie die gesamte Fertigung eines Schiffspropellers aussieht, können Sie auch hier im Video verfolgen:

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Erst die Sowjets, dann die Wende, dann Privatisierung

Der gebürtige Westfale ist promovierter Maschinen- und Schiffbau-Ingenieur und seit 2009 bei MMG. Er übernahm damals die Leitung der Abteilung für Forschung und Entwicklung und schuf mit seinem Team anschließend die Grundlagen für ein völlig neues Geschäftsfeld – das Retrofit von Schiffspropellern. „Bis dahin war es nicht üblich, den Propeller eines Schiffes zu wechseln. Der drehte sich ein Schiffsleben lang auf der gleichen Antriebswelle“, so Greitsch.

Auf diesem Prinzip fußte über Jahrzehnte auch das Geschäftsmodell von MMG. In dem bereits seit 1892 an der Müritz bestehenden metallurgischen Betrieb wurde vor gut 75 Jahren erstmals ein Schiffspropeller gegossen.

Das geschah auf Geheiß der sowjetischen Militäradministration in Ostdeutschland, die den Schiffbau hochfahren wollte. Später in der DDR wurde MMG innerhalb des Kombinats Schiffbau zum Lieferanten für die volkseigenen Werften.

An der Herstellung von Propellern für neue Schiffe änderte sich auch nach der Wende und der folgenden Privatisierung zunächst wenig. Lediglich die Kundenadressen fanden sich jetzt fernab vom heimischen Standort im fernen Asien.

Durch Qualität zum Weltmarktführer

Die aufstrebende Werft-Industrie in Südkorea und China entfaltete dank niedriger Kosten eine enorme Magnetwirkung auf die europäischen Reeder, sie wanderten reihenweise mit ihren Aufträgen nach Asien.

„Und wir sind mitgewandert.“ So einfach, wie es der MMG-Chef formuliert, gestaltete sich der Einstieg in den fernöstlichen Markt allerdings nicht. Intensive Akquise vor Ort und selbstbewusstes Auftreten waren dafür vonnöten. Auch heute noch gelte bei jeder Auftragsanfrage: „Nie zögernd agieren!“, so der 49-Jährige.

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Die Anfragen nahmen zu, und MMG erarbeitete sich über die Jahre den Ruf, hochwertige Propeller mit Durchmessern bis zu etwa zehn Metern zu liefern, die sich durch maximale Zuverlässigkeit und Effizienz auszeichnen. Ein Gütesiegel, für das die Auftraggeber den weiten Lieferweg von Europa nach Asien gern in Kauf nehmen. Das machte den Mittelständler aus MV schließlich zum Weltmarktführer im Propeller-Segment von über 80 Tonnen.

So rund wie ein Propeller hätte es weiterlaufen können, wäre nicht die weltweite Finanzkrise 2008/09 bis in die Müritzer Seenplatte geschwappt. Die internationale Schifffahrt hatte plötzlich erhebliche Überkapazitäten. In dieser Situation entschieden sich vor allem die großen Container-Reedereien zum sogenannten Slow Steaming; sie ließen die Schiffe langsamer fahren und setzten je nach Bedarf weitere Schiffe ein.

Für MMG eine Chance, die klug genutzt wurde. Greitsch: „Als sich abzeichnete, dass diese Strategie keine Eintagsfliege sein würde, sind wir auf unsere Kunden zugegangen und haben ihnen aufgezeigt, dass man mit Propellern, die für eine permanente Langsamfahrt optimiert sind, bis zu 10 Prozent an Treibstoff sparen kann.“

Unsicherheit durch fehlende Regularien

Das kam an. Ein erster Auftrag der Reederei MSC für die Umrüstung von 80 Schiffen brachte das Retrofit-Projekt bei MMG in Schwung und am Markt ins Gespräch.

Möglich war das alles, weil die Warener schon früh damit begonnen hatten, ihre Kapazitäten für den Entwurf effizienter Propeller auszubauen. Denn die Zeichen mehrten sich, dass die Schifffahrt ihre Emissionen langfristig drastisch senken muss. Und ebenso klar war, dass der Propeller-Antrieb ein Teil der Lösung sein würde.

Doch in dem internationalen Geschäft herrschte einige Jahre große Ungewissheit, es fehlte schlicht an einheitlichen Regularien. „Das führte dazu, dass die Reeder sich mit Investitionen zurückhielten und wir ab 2017 in eine Auftragsdelle gerieten“, so Greitsch.

Im Jahr zuvor hatte er das Angebot angenommen, neben Personalmanagerin Katrin Beuster in die Geschäftsführung von MMG zu wechseln. Allerdings half auch ingenieurtechnischer Innovationsgeist an diesem Punkt nicht weiter. Das Management ließ die Ursachen der Krise sogar mit einem Gutachten analysieren. „Wir wollten Gewissheit, ob es an unseren Produkten lag oder am Markt“, begründet Greitsch diesen Schritt.

Schwierige Jahre in den Zeiten der Schiffskrise

MMG musste sich schließlich der reduzierten Nachfrage beugen. Der Umsatz brach von 100 Millionen Euro auf 40 Millionen Euro im Jahr 2021 ein. Auch die Zahl der Mitarbeiter von über 200 war nicht mehr zu halten, sie schrumpfte zwischenzeitlich unter 170 Beschäftigte.

Unter den Mitarbeitern, die gehen mussten, war auch Marco Müller. Seit 2003 hatte er zunächst in der Formerei und dann in der Schmelzerei gearbeitet. „Der Kontakt zu MMG ist danach aber nie abgebrochen, sodass ich nach drei Jahren hier wieder anfangen konnte.“

Umsatzanstieg dank neuer Öko-Richtlinien

Das Blatt wendete sich, als neue Beschlüsse der Internationalen Schifffahrtsorganisation IMO für Klarheit sorgten, wohin die Reise in puncto Klimaneutralität auf den Meeren gehen soll. Der Umsatz erholte sich und lag 2023 wieder bei 100 Millionen Euro. Auch die Belegschaft wuchs, derzeit liegt sie bei 210 Mitarbeitern, darunter 8 Azubis.

Ihre Arbeit ist sehr abwechslungsreich, denn die Propeller durchlaufen nach dem Guss mehrere Bearbeitungsetappen. Wie umfangreich diese ausfallen, entscheidet sich an der ersten Aufmessung.

„Der Propeller wird abschnittsweise gescannt, um die Maße abzugleichen“, erklärt Nick Kirschke. Danach stehe fest, an welchen Stellen Material abgetragen werden muss. Der 22-jährige Student für Geodäsie und Messtechnik absolviert bei MMG ein 13-wöchiges Praktikum für seine Bachelor-Arbeit und ist bereits bestens vertraut mit der komplexen Technik.

Neue Verfahren schaffen Zukunftsperspektiven

Um im Wettbewerb weiterhin zu bestehen, ist nicht nur die Effizienz der Propeller bestmöglich auszureizen, sondern auch die des Produktionsprozesses. Neben dem Einsatz von Robotern arbeiten die Entwickler bei MMG daran, künftig auch eine additive Fertigung von kleineren Teilen zu ermöglichen. An einer Roboter-Metallschweißanlage wird bereits mit Bronze und Edelstahl getestet, wie Rohlinge im 3-D-Schichtverfahren zeit- und kostengünstiger als im Guss entstehen können.

Für Peter Anders ist dies ein Jahr vor seinem geplanten Ruhestand noch mal eine neue Erfahrung. Der 62-jährige Einkaufsleiter gehört zu den langjährigsten Mitarbeitern und ist seit 37 Jahren an Bord.

„In der Produktion benötigen wir pro Jahr ungefähr 7.000 Tonnen Gussmaterial, das bis zu 80 Prozent von verschrotteten Propellern stammt und direkt von den Abwrackfirmen kommt“, so der Schiffbau-Ingenieur aus Waren. Die Werkstoffe, die an der Roboter-Metallschweißanlage Schicht für Schicht aufgetragen werden, kommen indes in Drahtform von der Rolle.