Die Energiewende läuft. In den vergangenen Jahren ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der deutschen Stromerzeugung kräftig gestiegen, inzwischen liegt er bei etwa 60 Prozent. Ein neuer Höchstwert, der maßgeblich dem Ausbau der Windkraft in Norddeutschland und dem Photovoltaik-Boom zu verdanken ist.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch: In einigen Teilbereichen gibt es immer noch einen enormen Nachholbedarf. Das gilt vor allem für die rund 30 Windparks in der Nord- und Ostsee. Denn wenn der Wind dort das tut, was er tun soll, nämlich möglichst stark und stetig wehen, werden die Turbinen auf dem Meer kurzerhand abgeschaltet.

Wenn der Wind kräftig weht, wird es teuer

Der Grund für dieses „Netzengpassmanagement“ ist banal: Es fehlt bis heute, 14 Jahre nach dem Reaktorunglück von Fukushima, an ausreichenden Leitungsnetzen und geeigneten Speichern, um die hohen Strommengen, die bei Starkwind anfallen, auch tatsächlich zu nutzen. Weil das so ist, werden die Betreiber großzügig entschädigt, wenn ihre Anlagen „abgeregelt“ werden. Ein teurer Spaß, allein 2024 lagen die Gesamtkosten für das Netzengpassmanagement in Deutschland bei rund 2,8 Milliarden Euro.

Es braucht also Speicher, speziell im Offshore-Bereich, um den Strom, der dort generiert wird, zuverlässig aufzunehmen und bei Bedarf wieder abzugeben. Ein besonders interessantes Modell wurde in den vergangenen Jahren vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE entwickelt: Es heißt StEnSEA (Abkürzung für „Storing Energy at Sea“) und soll nun vor der kalifornischen Küste ausführlich getestet werden.

StEnSEA funktioniert ähnlich wie die bekannten Pumpspeicherkraftwerke, von denen hierzulande etwa 30 Stück im Einsatz sind. Bei ihnen wird überschüssiger Strom genutzt, um Wasser in ein höher gelegenes Becken zu pumpen; von dort lässt man es, sobald Strom benötigt wird, wieder ablaufen, um Turbinen im Tal anzutreiben.

StEnSEA arbeitet ebenfalls mit Pumpen; sie stecken allerdings in hohlen Betonkugeln, die in großer Tiefe auf dem Meeresboden liegen. Um Strom zu speichern, pumpt man zunächst Wasser aus den Kugeln heraus; wird später Strom benötigt, öffnet man ein Ventil und lässt das Wasser wieder einströmen, wobei die Pumpe rückwärtsläuft und als Turbine fungiert. Ein Unterwasserkabel schafft die Verbindung zum Stromnetz an Land oder zu der Trafo-Station eines Offshore-Windparks.

Die erforderlichen Pumpen stammen von dem Sondermaschinenbauer Pleuger Industries, der 1929 in Berlin entstand und 1945 nach Hamburg übersiedelte. Bekannt wurde der Mittelständler unter anderem durch die Wasserfontäne auf der Hamburger Binnenalster, die seit 1987 mit einer Pleuger-Pumpe arbeitet, angetrieben von einem wassergefüllten Unterwassermotor. Ähnliche Pleuger-Pumpen kamen bereits beim Bau der Berliner U-Bahn zum Einsatz.

Das Unternehmen verfügt also über reichlich Expertise auf diesem Gebiet und ist daher der perfekte Partner für StEnSEA. Edris Faez, Teamleiter im Bereich Forschung und Entwicklung von Pleuger, sieht große Chancen für das Projekt. „Die Speicherung überschüssiger Energie aus erneuerbaren Quellen ist eine komplexe Herausforderung“, so Faez, „aber StEnSEA könnte ein entscheidendes Puzzleteil sein. Indem wir eine effiziente Energiespeicherung auf See ermöglichen, tragen wir dazu bei, eine Infrastruktur zu schaffen, in der saubere Energie konstant zur Deckung des Bedarfs verfügbar ist.“

Erfolgreicher Feldtest mit Kugel im Bodensee

Nach einem erfolgreichen Feldtest mit einem kleineren Modell im Bodensee steht nun ein Praxistest vor der kalifornischen Küste an. Die IEE-Experten wollen dort in einer Tiefe von bis zu 600 Metern eine Betonhohlkugel mit neun Meter Durchmesser platzieren. Die Leistung des 400 Tonnen schweren Prototyps liegt bei 0,5 Megawatt (MW), die Kapazität bei 0,4 Megawattstunden (MWh).

Als Standort haben die Projektpartner ein Gebiet vor Long Beach bei Los Angeles ausgewählt. Sie wollen ihn spätestens Ende 2026 in Betrieb nehmen. Das Berliner Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert das Vorhaben mit knapp 3,4 Millionen Euro, das amerikanische Department of Energy ist mit rund 4 Millionen Dollar dabei.

Experten sehen ein großes Potenzial

Ziel des Tests ist es, alle Arbeitsschritte entlang der Herstellung, der Installation, dem Betrieb und der Wartung im Hinblick auf die angestrebte Größe der Kugel – ein Durchmesser von 30 Metern – zu untersuchen und zu bewerten. So wollen die Experten überprüfen, ob und wie sich die in diesem Projekt gefundenen Lösungen auf eine 30-Meter-Kugel übertragen lassen.

„Wegen der globalen Energiewende wird der Speicherbedarf in den nächsten Jahren enorm zunehmen“, sagt Bernhard Ernst, Senior Projekt Manager beim Fraunhofer IEE. „Mit StEnSea haben wir eine kostengünstige Technologie entwickelt, die sich vor allem für das Speichern über kurze bis mittlere Zeiträume bestens eignet. Mit dem Testlauf vor der US-Küste machen wir einen großen Schritt zur Skalierung und Kommerzialisierung dieses Speicherkonzeptes.“

Das globale Speicherpotenzial der StEnSea-Technologie liegt laut Fraunhofer IEE bei insgesamt 817.000 Gigawattstunden (GWh), also 817 Milliarden Kilowattstunden (KWh). An den zehn besten europäischen Standorten sind es immer noch 166.000 GWh. Zum Vergleich: Die gesamte Kapazität der bereits erwähnten Pumpspeicher-Kraftwerke in Deutschland beträgt knapp 40 GWh.

Die Speicherkosten liegen laut Fraunhofer IEE bei rund 4,6 Cent pro Kilowattstunde, die Investitionskosten bei 1.354 Euro pro Kilo-watt Leistung und 158 Euro pro Kilowattstunde Kapazität.

Wasserstoff als Energiespeicher

Um ein Speicherverfahren ganz anderer Art geht es im niedersächsischen Etzel an der Nordseeküste. Dort werden bei dem Pilotprojekt H2Cast bestehende Salzkavernen, die ursprünglich für die Öl- und Gasspeicherung vorgesehen waren, für die Speicherung von Wasserstoff umgerüstet.

Der Startschuss fiel Anfang Mai, als die Projektpartner Gasunie und Storag Etzel mit der Einspeicherung von rund 90 Tonnen Wasserstoff in zwei Kavernen begannen. An dem Festakt zum Start nahm auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies teil, der Ende Mai zum Ministerpräsidenten seines Bundeslands gewählt wurde.

„Erneuerbare Energien sind das Herzstück des Klimaschutzes“, sagte Lies in seiner Ansprache. „Ohne Wasserstoff werden wir die Klimaziele nicht erreichen. Deshalb sind Kavernenspeicher eine zentrale Voraussetzung für die Umsetzung unserer Klimaziele auf der einen Seite und für eine sichere Energieversorgung auf der anderen Seite.“

Wichtige Erkenntnisse für die Umrüstung

Storag Etzel und Gasunie arbeiten bereits seit 2023 gemeinsam an dem Projekt. Ziel ist die Entwicklung und der Betrieb eines flexiblen Untergrundspeichers mit einer Gesamtkapazität von bis zu 1.000 Gigawattstunden Wasserstoff.

Boris Richter, Geschäftsführer von Storag Etzel: „H2Cast liefert wichtige Erkenntnisse für die Umrüstung weiterer Kavernen für die Wasserstoffspeicherung. Die Etzeler Kavernen sind flexibel skalierbar, sodass sich bestehende unterirdische Gas- und Ölspeicher für die Nutzung von Wasserstoff umwidmen lassen. Entsprechend vielfältig sind die Ausbaumöglichkeiten für das Projekt. Die unterirdische Speicherung von Wasserstoff in Kavernen im großen Stil funktioniert. Wir sind bereit, wenn der H2-Markt da ist.“

Aktueller Blick in norddeutsche Betriebe

Empfohlener externer Inhalt: OpenStreetMap

Dieser Artikel wird an dieser Stelle durch einen externen Inhalt von OpenStreetMap bereichert, den unsere Redaktion ausgewählt hat. Bevor wir diesen Inhalt anzeigen, benötigen wir Ihre Einwilligung. Natürlich können Sie das Element eigenhändig wieder deaktivieren oder Ihre Cookies löschen.

Clemens von Frentz
Leiter aktiv-Redaktion Nord

Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv im Norden leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.

Alle Beiträge des Autors