Mit ein bisschen Fantasie könnte man annehmen, Yannick Lüder (22) und Hauke Ahner (21) stünden vor einer Weltraumrakete und inspizierten diese vor dem Start. Die spacig anmutende Metallkonstruktion ist höher als ein vierstöckiges Gebäude, weiß lackiert und am oberen Ende spitz zulaufend. Man wartet unwillkürlich auf den Beginn des Countdowns.

Aber der stählerne Riese wurde nicht für die Reise in die Schwere-losigkeit des Alls gebaut, sondern für die Beförderung superschwerer Lasten, wie die Aufschrift „LS 800 E All-electric“ verrät. Denn das Kürzel LS steht für Liebherr-Schiffskran und die Drehsäule ist das Kernstück des neuesten Typs von Schwerlast-Schiffskränen, die bei der Liebherr-Rostock GmbH gebaut werden.

Spannende Einblicke in das Innenleben des Krans

Der Koloss steht zusammen mit einem zweiten baugleichen Exemplar auf dem Prüfstand vor der Montaghalle 3 des Liebherr-Werks im Rostocker Überseehafen. Auslandsmonteur Yannick und sein junger Kollege Hauke, der in dem Unternehmen eine Mechatroniker-Ausbildung absolviert, sollen heute die Drehsäule und die Funktion aller Aggregate überprüfen. Noch fehlt dem Kran der 39 Meter lange Ausleger, mit dem er später komplettiert wird.

Von außen ist alles in Ordnung. Yannick und Hauke steigen von unten durch eine Öffnung in das Innere der Konstruktion. Auf schmalen Stufen geht es über mehrere Metallgitter-Etagen nach oben. Hier offenbart sich das komplexe Innenleben der Drehsäule – sie enthält nicht nur mächtige Elektromotoren, sondern auch einige Seilwinden und endlose Kabelstränge.

Über 1.800 Beschäftigte am Standort Rostock

„Anhand einer Prüfliste auf dem Laptop kontrollieren wir, ob alle relevanten Steuerungs- und Arbeitsaggregate wie vorgesehen funktionieren“, erklärt Yannick. Ist dies der Fall, wird ein digitaler Haken hinter dem Listenpunkt gesetzt. Der Rostocker hat seine Mechatroniker-Lehre bei Liebherr im Februar 2024 beendet und arbeitet seitdem als Auslandsmonteur in dem Werk an der Warnow, das aktuell mehr als 1.800 Menschen beschäftigt.

Sein erster Einsatz führte ihn nach Norwegen, anschließend ging es auf eine Werft in der ostchinesischen Hafenstadt Weihai. Dorthin liefert Liebherr insgesamt zehn „LS 800 E“-Kräne. Sie sind für fünf Schiffsneubauten vorgesehen, die die Hamburger Spezialreederei SAL Heavy Lift in China geordert hat.

Seit 20 Jahren erfolgreich an der Ostseeküste

Jedes der Mehrzweck-Schwerlastschiffe des neuen Typs „Orca“ erhält zwei „LS 800 E“-Kräne. Sechs wurden bereits nach Fernost verschifft – direkt von dem Liebherr-Werk aus, das vor 20 Jahren seine Produktion im Überseehafen aufnahm. Die Lage am Wasser war damals entscheidend für die Ansiedlung in der Hansestadt. Sie ermöglichte es, fertig montierte Kräne auf dem Seeweg an die Kunden auszuliefern.

„In China werden die Kräne nach der Überfahrt von uns noch mal gecheckt und dann an den Kunden übergeben“, so Yannick. Die Kräne Nummer 7 und 8 auf dem Werkgelände sollen im April folgen. Dann geht es für den jungen Monteur wieder auf große Reise nach Asien.

Perspektivisch wird auch sein Kollege Hauke dabei sein. Er ist ebenfalls angehender Mechatroniker, mittlerweile im dritten Lehrjahr, und war schon als Jugendlicher über ein Schülerpraktikum bei Liebherr auf die beruflichen Möglichkeiten in dem Unternehmen aufmerksam geworden.

„Mich hat die Vielseitigkeit des Berufs gereizt, vom klassischen Stahlbau über die Elektrotechnik bis zu digitalen Anwendungen“, begründet der Azubi seine Wahl. Mit der Entscheidung für Liebherr-Rostock ist er nicht allein, derzeit machen hier rund 120 junge Nachwuchskräfte eine Ausbildung.

Der Auftrag für die SAL-Schiffe ist unter anderem dem Trend zu immer größeren Offshore-Windkraftanlagen zu verdanken. Für den Transport der riesigen Komponenten zu den Windparks braucht es entsprechende Krankapazitäten und Schiffe. Jeder „LS 800 E“-Kran kann bis zu 800 Tonnen heben, im Tandemhub sogar 1.600 Tonnen.

Das Umweltbewusstsein der Kunden nimmt zu

Gleichzeitig steht der neue Kran beispielhaft für das steigende Umweltbewusstsein der Kunden. „Unser Fokus im Schiffskransegment liegt seit einigen Jahren ganz klar auf vollelektrisch betriebenen Kränen“, betont Steffen Bartke, seit vier Jahren technischer Geschäftsführer im Rostocker Liebherr-Werk. 

„Den stärksten Wandel gibt es bei den Gewerken, die die Dreh-, Hub- und Wipp-Bewegungen des Krans ermöglichen“, erklärt der 45-jährige Maschinenbau-Ingenieur. „Die hier bisher verwendeten elektrohydraulischen Antriebe werden zunehmend durch elektrische ersetzt.“

Während Schiffskräne bordeigenen Strom beziehen, kommen im Segment Hafenmobilkräne (LHM) in der Regel immer noch Dieselmotoren zum Einsatz, um die Kräne autark auf der Pier betreiben zu können. Doch das ist kein Naturgesetz und muss nicht zwingend so bleiben. Bartke: „Da die LHM-Kräne im Hafen zu rund 95 Prozent ihrer Einsatzzeit auf einer Stelle stehen, kann die Energiezufuhr auch problemlos über einen kabelgebundenen Stromanschluss erfolgen.“

2.000 Hafenmobilkräne wurden bislang gebaut

Auch für die restlichen 5 Prozent hat Liebherr bereits eine Lösung. „Noch in diesem Jahr werden wir den ersten LHM auf den Markt bringen, der beim Fahren des Krans an einen anderen Einsatzort im Hafen kabellos auf elektrische Energie zugreift“, berichtet Felix Kleinfeldt. Der 37-jährige Maschinenbauingenieur und gebürtige Schweriner ist Bereichsleiter Entwicklung Hafenmobilkrane.

„Die neueste Antriebsvariante wird mit einem Batteriespeicher ausgestattet“, so Kleinfeldt. „Das macht es möglich, auch die kurzen Strecken beim Standortwechsel im Hafen emissionsfrei zurückzulegen.“

Rund die Hälfte des Produktionsportfolios bei Liebherr in Rostock entfällt auf Hafenmobilkräne. Hergestellt werden sie in sechs Leistungsklassen, vom LHM 180 bis zum LHM 800. Letzterer ist der stärkste seiner Art weltweit.

Alljährlich verlassen rund 60 bis 80 LHM das weitläufige Werk am Ufer der Warnow. Insgesamt wurden so bislang etwa 2.000 LHM-Kräne produziert.

Regelmäßige Marktanalysen und Kundenfeedback haben in den vergangenen Jahren laut Geschäftsführer Bartke aber auch gezeigt, dass der Anspruch, die CO2-Emissionen zu betrachten und zu reduzieren, ein weiteres Kaufargument für die Kräne geworden ist.

Die komplette CO2-Bilanz des Krans wird ermittelt

Als Nachweis wird der sogenannte CO2-Fußabdruck herangezogen. Bartke: „Um diesen zu ermitteln, haben wir 2021 zunächst damit begonnen, alle relevanten CO2-Emissionen der gesamten Lebenszeit des Krans zu erfassen, von der Stahlerzeugung über die Produktion und den Betrieb des Krans bis zum Recycling.“

Dabei habe sich gezeigt, „dass bei einem Kran, der zu 95 Prozent aus Stahl und Stahlkomponenten besteht, rund 75 Prozent der im Herstellungsprozess bedingten CO2-Emissionen aus der Stahlerzeugung resultieren.“

Selbst ungewöhnliche Wünsche werden erfüllt

Honoriert werden diese ökologischen Anstrengungen unter anderem durch die international führende Ranking-Agentur EcoVadis. Sie hat dem Kranbauer erneut den Goldstatus zuerkannt, der diesen als einen der Besten 1 Prozent in der Branche ausweist.

Von EcoVadis werden weltweit rund 150.000 Firmen geratet. „Unsere Kunden erwarten das und sie sollen es auch wissen“, betont Steffen Bartke.

In puncto Kundenzufriedenheit sparen die Rostocker Kranspezialisten zuweilen auch skurrile Wünsche nicht aus. Ein Kunde aus Indien, der Hafenmobilkräne vom Typ LHM 420 bestellt hatte, wies daraufhin, dass die Ziffer 420 in seinem Heimatland als Unglückszahl gelte. Die Kräne traten schließlich mit der Aufschrift LHM 425 die Schiffsreise zum Subkontinent an.

 

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